Schritt für Schritt der Digitalisierung entgegen

Schritt für Schritt der Digitalisierung entgegen

Kölner Rohr- und Kanalreinigungsbetrieb ROKIS

In Großunternehmen beschäftigen sich teilweise ganze Abteilungen mit Strategien zur digitalen Transformation, eine Möglichkeit, die kleine und mittelständische Handwerksbetriebe so nicht haben. Doch mit Unterstützung der eigenen Belegschaft und unter Hinzuziehung externer Beratung können auch Handwerksbetriebe digitale Lösungen entwickeln und von der Umstellung auf digitale Prozesse profitieren, wie das Beispiel des Kölner Rohr- und Kanalreinigungsbetriebes ROKIS zeigt.

Die Firma ROKIS startete 1983 als Zweimannbetrieb und beschäftigt heute 15 Mitarbeitende, die jährlich zwischen 6.000 und 7.500 Aufträge bearbeiten. Diese reichen von kleineren Rohrverstopfungen über die Abnahme von neu verlegten Kanälen bis hin zu aufwendigen Kanaluntersuchungen von Unternehmensgrundstücken. Nachdem sich der Gründer 2010 zur Ruhe setzte, ging das Unternehmen auf seinen Wunsch in die Gruppe Sanders Tiefbau GmbH & Co. KG über – ein mittelständisches Tiefbau- und Kanalsanierungsunternehmen.

Inzwischen ist nicht nur ROKIS gewachsen, sondern auch die Ansprüche von außen, wie der heutige Geschäftsführer Roger Schick zu berichten weiß: „Die Kunden erwarten heute eine schnelle Auftragserledigung, der Druck hat enorm zugenommen. Das Zeitfenster, um Aufträge zu bearbeiten, wird immer kleiner. Betriebliche Abläufe müssen daher gut aufeinander abgestimmt werden, damit Aufträge zügig abgewickelt werden können.“ Für Roger Schick bedeutete das: Zeit, den Betrieb zu digitalisieren! Da ihm, wie auch vielen anderen Unternehmern im Handwerk, jedoch das nötige Know-how und die Zeit fehlten, zog er den Rat eines Unternehmensberaters hinzu.

Ein neutraler Blick von außen

Zwar hegte Schick anfangs Zweifel, „ob eine Beratung die Zeit und das Geld wert ist“, doch das positive Feedback eines anderen Unternehmens der Sandersgruppe erleichterte ihm den Entschluss – dieses hatte bereits eine Beratung beansprucht und für Roger Schick den Kontakt zu Unternehmensberater Peter Bunte vom Team Potenzialberatung Handwerk GmbH hergestellt: „Durch unsere langjährige Erfahrung in der Beratung von Handwerksbetrieben mit der Spezialisierung auf die Organisationsberatung in der Haustechnik ist die Hürde unter Handwerksbetrieben, sich von uns beraten zu lassen geringer. Die meisten Betriebe kommen über Empfehlungen von anderen auf uns zu“, so Bunte, „viele Unternehmer bilden sich zwar selbst weiter und versuchen ihr erworbenes Wissen anzuwenden. Doch ihre Nähe zu Betrieb und Mitarbeitenden ist oft hinderlich für eine neutrale Sicht aufs Unternehmen.“

Bei der Ankündigung des Besuchs von Peter Bunte hat Geschäftsführer Schick gegenüber seinen Mitarbeitenden den Begriff des Unternehmensberaters bewusst vermieden, denn „viele Mitarbeiter verbinden mit dem Begriff die Rationalisierung von Arbeitsplätzen – also den Verlust ihres Jobs“, so Bunte. Daher teilte Schick ihnen im Vorfeld lediglich mit, dass jemand käme, um sich anzuschauen, wie der Betrieb funktioniere und dass es zu Einzelgesprächen kommen könne, in denen sie offen ihre Meinung sagen sollen. Diese Gespräche sind in mehrfacher Hinsicht wichtig: „Zum einen schaffen sie Vertrauen bei den Mitarbeitenden, die erkennen, dass jeder Einzelne seinen persönlichen Nutzen durch die Beratung erfährt. Zum anderen bekomme ich durch sie wertvolle Eindrücke, an welchen Stellen es hakt, um gezielt eingreifen zu können“, erklärt Bunte. Anhand der Gespräche kann der Berater eine Analyse des Ist-Zustands eines Betriebs aufstellen. Daraus ergeben sich die Schwerpunkte, an denen zu arbeiten ist. Diese bezogen sich bei der Firma ROKIS insbesondere auf das Auftrags-, Rechnungs- und Mahnwesen. Durch Offenlegung von Zahlen, Daten und Fakten der Firma konnten den Beschäftigten Schwachstellen im Betriebsablauf kenntlich gemacht werden. Zu deren Beseitigung entwickelte der Berater in Zusammenarbeit mit Roger Schick und der Belegschaft verschiedene Maßnahmen.

Zeiteinsparung durch Digitalisierung

„Als Erstes schaue ich auf die Schreibtische: türmen sich da Papierstapel, ist es ein Indiz dafür, dass Handlungsbedarf besteht“, schildert Bunte. So war es im Falle ROKIS. Die fehlenden digitalen Strukturen im Betrieb zogen den Bearbeitungsaufwand der Aufträge unnötig in die Länge. Die Übermittlung von Kundeninformationen an die Monteure erfolgte oft telefonisch, was Prozesse nicht nur verlangsamte, sondern auch für Unruhe im Büro sorgte: „Wenn man zigmal am Tag das Buchstabieren von Namen hört, zehrt das an den Nerven und lenkt vom Wesentlichen ab“, beschreibt Schick die Stimmung im Büro vor der Beratung. In den Einzelgesprächen schlugen die Mitarbeitenden daher eine pragmatische Lösung vor: Die Aufträge per Foto an die Monteure zu verschicken. So haben sie schnell und unkompliziert alle wichtigen Informationen über die Kunden auf ihrem Smartphone.

Oft verstrich auch zu viel Zeit nach Beendigung eines Auftrags bis zur Erstellung der Rechnung. Dies wiederum zieht Mahnungen an Kunden nach sich, denn: „Erhält ein Kunde erst sechs Wochen nach Erfüllung des Auftrags eine Rechnung, denkt der sich, er habe auch sechs Wochen Zeit, sie zu begleichen“, so Bunte. Eine neue Betriebssoftware, die ROKIS von mehreren Sanitärdienstleistern empfohlen worden war, schaffte Abhilfe: Alle Informationen zu den einzelnen Kunden sowie der genaue Status eines jeweiligen Auftrags sind nun durch Anklicken des integrierten Organizers schnell ersichtlich. So können Rechnungen zügig verschickt werden und bei Reklamationen lässt sich einfach und genau zurückverfolgen wann und wie ein Auftrag bearbeitet wurde. Zur optimalen Nutzung des Systems schulte der Vertreiber die ROKIS-Belegschaft in Zweiergruppen im Betrieb. So konnten sie neu Erlerntes direkt in der Praxis erproben. Eine Anschaffung, die sich lohnte, so Schick: „Der Datentransfer vom alten zum neuen Betriebssystem war zwar aufwendig, aber dafür geht jetzt alles wesentlich schneller und wir behalten den Überblick. Früher mussten wir jeden Auftrag in eine Art Excel-Tabelle eintippen und dann endlos scrollen, um einzelne Kunden zu finden.“

Digitale Strukturen möchte Roger Schick auch in Zukunft weiter ausbauen. Ge­plant sind neue Kanalinspektionskameras, die Untersuchungsdaten und Aufnahmen vom Einsatzort sofort an die Firma übertragen. Zudem sollen die Monteure mit Tablets noch beim Kunden Leistungsnachweise ausfüllen können, die dann mit dessen Unterschrift umgehend an die Zentrale übermittelt werden.

Auch wenn der Schritt zur Digitalisierung viele betriebliche Prozesse vereinfachte, löste er besonders bei den Monteuren zunächst Sorge aus. Sie befürchteten kontrolliert zu werden, da durch die Aufnahme der Aufträge ins digitale System auch nachvollziehbar würde, wie lange sie für ihre Arbeit bräuchten. Dass die Digitalisierung nicht zur Überwachung der Mitarbeiter dienen sollte, musste erläutert werden. Schick: „Ich erklärte ihnen, dass das neue System dabei hilft, Schwachstellen in der Prozesskette zu erkennen, und ich so beispielsweise Preise für Dienstleistungen anpassen kann, wenn nachweisbar ist, dass einzelne Prozesse zum Beispiel mehr Zeit in Anspruch nehmen. Dafür zeigten sie Verständnis.“ Ein offener Umgang mit den Belangen des Unternehmens zahlt sich vielfach aus: Es können nicht nur Missverständnisse von vornherein vermieden werden, die Transparenz bei Kosten und Umsätzen des Betriebs wirkt sich zudem positiv auf die Arbeitsmoral der Beschäftigten aus.

Transparenz steigert Produktivität und bindet Mitarbeitende

Zahlen, Daten und Fakten des Betriebs transparent zu machen, empfiehlt auch Berater Bunte seinen Kunden: „Damit weckt man kaufmännisches Verständnis bei den Beschäftigten. Wenn sie den Jahresumsatz, die Auftragszahlen und die Dauer von Rechnungseingängen kennen, lässt sich beispielsweise zeigen, dass sich durch die Straffung von betrieblichen Prozessen die Produktivität des Unternehmens deutlich steigern lässt.“

Auch Gewinnbeteiligungen empfiehlt Berater Bunte – etwa durch die Vergabe eines Bonus für gute Leistung: Stehen beispielsweise 1.000 Stunden für einen Auftrag zur Verfügung und das Team erledigt ihn in 800 Stunden, kann ein Teil der übrigen 200 Stunden an die Mitarbeiter ausgeschüttet werden, anteilig ihrer persönlichen Leis­tung. Schließlich ist ein fertiger Monteur stärker in den Auftrag eingebunden als ein Auszubildender, der nicht immer von Anfang bis Ende an längeren Einsätzen mitarbeitet. Schick: „Es zeigt ihnen, dass ihre Arbeit wichtig ist und sich ihre Arbeitsweise direkt auf den Betrieb auswirkt. Heute machen meine Monteure von sich aus keine unnötigen Kaffeepausen.“ Transparenz kann also nicht nur den Umsatz des Unternehmens steigern, sondern auch die Motivation der Mitarbeitenden, wenn man sie wie im Falle ROKIS dazu nutzt, persönliche Leistungen zu belohnen. Obendrein schafft es Loyalität und Vertrauen unter den Mitarbeitenden gegenüber seinem Arbeitgeber, wichtige Werte, um Mitarbeitende in Zeiten hoher Fluktuation und Fachkräftemangels an den Betrieb zu binden.

Bunte: „Die gute Auftragslage im Handwerk in Kombination mit akutem Fachkräftemangel führt dazu, dass Mitarbeitende häufig von anderen Unternehmen abgeworben werden. Um sich als Unternehmer davor zu schützen, muss man Transparenz herstellen und die Erfolge mit den Beschäftigten teilen. Da hilft es auch, wenn die Monteure von ROKIS die Einsatzfahrzeuge in der Bereitschaft nach Feierabend mit nach Hause nehmen dürfen. Ein Vertrauensbeweis für den Mitarbeitenden und Zeiteinsparung für den Betrieb, denn: So kann der Monteur morgens direkt von zu Hause zum ersten Einsatz fahren.

„Ein Öltanker wechselt seinen Kurs auch nicht von jetzt auf gleich“

„Die Kunden verlangen heute eine verlässliche Dienstleistung. Die Beratung hat uns dabei unterstützt, dies mithilfe der Digitalisierung sicherzustellen. Viele Prozesse wurden vereinfacht und beschleunigt. Dies hat auch die Kundenwahrnehmung unseres Betriebs positiv beeinflusst“, zieht Roger Schick Bilanz. In puncto Digitalisierung hat sich bei ROKIS also schon einiges bewegt, auch wenn der Prozess noch nicht beendet ist. Laut Bunte kann die vollständige Transformation eines Unternehmens, das sich die Digitalisierung zum Ziel setzt, mehrere Jahre dauern. Und das ist auch gut so, denn: Eine Einführung über Nacht würde den Innen- und Außendienst überfordern. Bunte: „Viele junge, digitalaffine Unternehmer wollen die Digitalisierung ihres Unternehmens oft auf einen Schlag erzwingen. Als Berater müssen wir dann auch Bremser sein. Um alte, gewohnte Strukturen aufzubrechen braucht man Zeit und Geduld. Ein Öltanker wechselt seinen Kurs auch nicht von jetzt auf gleich.“

Schick gibt aber auch zu bedenken, dass „Digitalisierung bedeutet, sein System stets auf dem neuesten Stand halten zu müssen. In Zukunft wird er immer wieder in sein Unternehmen investieren müssen, um die digitalen Strukturen aufrechtzuerhalten.

Aber auch die Kompetenzen der Belegschaft müssen sich mitentwickeln. Das erfordert die Bereitschaft der Unternehmer, Weiterbildung zu fordern und zu fördern. Für die Beschäftigten heißt das auch, die betrieblichen Prozesse zu verstehen, sich selbst darin zu verorten und an der Weiterentwicklung, Vereinfachung und Digitalisierung dieser Prozesse mitzuwirken. Dazu bedarf es auch Maßnahmen von institutioneller Seite. Handwerkskammern und Betriebe arbeiten bereits gemeinsam daran, das Erlernen digitaler Geschäftsprozesse in ein eigenes Berufsfeld zu kleiden. Etwa in Form einer Zusatzausbildung für Bürokauffrauen und -männer im handwerklichen Bereich.


Text: Nils Strodtkötter

Quelle: Dieser Text ist zuerst erschienen im G.I.B. Info 2/2019.