Digitale Excellence NRW

Das Ende der Zettelwirtschaft

Wie Handwerksbetriebe von der Digitalisierung profitieren zeigt das Projekt " Digitale Excellence NRW".

Wenn frische Farbe an eine Fassade soll, ist Handarbeit weiter das Mittel der Wahl. Experimente mit Drohnen laufen zwar vereinzelt, digitalisierte Prozesse führen hier jedoch noch ein Mauerblümchendasein. Wo Firmen des Handwerks und produzierenden Gewerbes bereits jetzt über ein größeres Potenzial für den Einsatz neuer Technologie verfügen, ermittelt das laufende Modellprojekt „Digitale Excellence NRW“ mit kleinen und einem mittleren Unternehmen, darunter hand-werk-zwei und die Kurt Berkowitz GmbH.

Weniger Schritte tun, weiter vorankommen: Das ist kein Widerspruch. Vielmehr beschreibt es das Bemühen kleiner und mittlerer Unternehmen, an der Schwelle zur Digitalisierung ihre Betriebsabläufe zu optimieren. Wer Prozessschritte einspart, so das Credo, gewinnt Zeit für andere Tätigkeiten. Denn auch Geschäftsprozesse des Handwerks lassen sich durch technische Hilfsmittel und EDV-Lösungen beschleunigen, sofern sie identifiziert und im Dialog mit der Belegschaft verändert werden. Der Nachholbedarf erscheint hoch: So haben Deutscher Gewerkschaftsbund und Hans-Böckler-Stiftung im aktuellen „Atlas der Arbeit“ ermittelt, dass im vom Handwerk geprägten Baugewerbe digitales Arbeiten zu 61 Prozent in geringem Maße oder gar nicht verbreitet ist. Um auch im Handwerk digitale Potenziale zu heben und Digitalisierung als positive Herausforderung zu begreifen, fördert das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS) des Landes Nordrhein-Westfalen das noch bis 2020 laufende Modellprojekt „Lernen im digitalen Wandel – Digitale Excellence in NRW“.

Daran nimmt auch die Firma hand-werk-zwei e. K. aus Dortmund teil. Der kleine Fachbetrieb übernimmt Maler- und Lackiererarbeiten und saniert Brand-, Feuchte- und Schimmelschäden. Die Unternehmensphilosophie besteht in der Verbindung von zwei Gewerken, den klassischen Malerarbeiten und Konzepten für eine individuelle Wohngesundheit. „Auf unseren Baustellen sehe ich wenig Potenzial für Digitalisierung“, sagt Nicole Karger, die mit Detlef Stolze die Geschäftsführung innehat. Der operative Bereich besteht in der Regel aus Handarbeit, Farbe sprühende Drohnen haben sich allgemein noch nicht durchgesetzt. Wenn mithin nicht im produktiven Bereich, so sieht Nicole Karger die Chancen der Digitalisierung stattdessen in vorgelagerten, also administrativen Bereichen.

Großes Potenzial liegt in der Kommunikation mit dem Büro

Dies geschieht im Bewusstsein, dass digitale Arbeit mehr als der computergestützte Einsatz von Robotern oder Maschinen, mehr als zunehmend autonom ablaufende und vernetzte Steuerungsprozesse über Sensoren ist. Auch elektronische Kommunikation oder softwarebasierte Arbeitsprozesse eröffnen Spielräume für sinnvolle Veränderungen des Arbeitsalltags. Sinnvolle von weniger zielführenden Maßnahmen zu unterscheiden, sie betriebsintern zu vermitteln und einzuleiten ist das Ziel des „Digitale Excellence NRW“-Projekts, das gemeinsam vom Beratungsunternehmen mpool consulting GmbH und der Ingenieurgesellschaft für Automatisierung und Rationalisierung mbH (IGA) durchgeführt wird. Im Wesentlichen durchleuchten die Beratenden mit der Geschäftsführung die betrieblichen Kernprozesse, überprüfen sie auf die Möglichkeit der Digitalisierung und entwickeln daraus einen Handlungsplan, aus dem konkrete Schritte erwachsen sollen. Mit dem Projekt wird Digitalisierung als Managementaufgabe im Unternehmen etabliert; es gilt herauszufinden, welche Maßnahmen im sich massiv verändernden Geschäftsumfeld einzuleiten und welche verzichtbar sind. Gibt es über die beteilig­ten Unternehmen hinweg Bereiche mit allgemein hohem Handlungsbedarf, bietet das Projekt übergreifende Workshops an. Ein großer Anteil der Beratung durch mpool und IGA ist aber individuell auf die einzelnen Firmen zugeschnitten.

Leif Grube ist für die IGA Mitarbeiter des Projekts und weiß, wo Betriebe mit geringer Automation – wie der von Nicole Karger –, konkret ansetzen können. „Vieles, was digitalisiert werden könnte, geschieht im Back Office.“ Das Büro sei eine Art „digitale Schnittstelle“ des Unternehmens, durch die Kommunikation in verschiedene Richtungen fließe. Am Beispiel Baustellenunterlagen zeigt sich, dass Arbeitsschritte, die bei hand-werk-zwei und in vielen anderen Unternehmen üblich sind, noch immer in analoger Reihung erfolgen. Was am Gebäude eines Kunden zu leisten ist, hat Geschäftsführerin Nicole Karger zwar in der Auftragsbeschreibung digital hinterlegt. Aus dem Rechner heraus druckt sie diese allerdings zunächst aus. Sodann drückt sie den Kollegen in die Hand, was wann wo zu tun und welches Material dabei einzusetzen ist. Vor Ort füllen die Handwerker auf den Papierformularen aus, welche Arbeitsschritte tatsächlich in welcher Zeit und mit welchen Mitteln geleistet worden sind und was der Kunde dafür zu bezahlen hat. Zurück in der Firma, kommen die ausgefüllten Zettel zurück an Nicole Karger, die den Auftrag am Rechner zu Ende bearbeitet und in die Lohnbuchhaltung überträgt.

„Was ich anfangs digital im Rechner hatte, gebe ich auf Papier heraus, um es am Ende des Tages wieder in den Rechner einzugeben“, sagt sie zusammenfassend. „Das ist unlogisch. Logischer wäre es für mich, diese Schritte zu verkürzen.“ Diesen Prozess hat sie nach der Analyse im „Digitale Excellence“-Projekt vereinfacht und beschleunigt: Es gibt passende Programme, die es erlauben, Aufträge mit den relevanten Daten über das Smartphone abzuwickeln. Die Kommunikation erfolgt in beide Richtungen. Das Büro versorgt den Mitarbeiter auf der Baustelle mit allen Informationen. Im umgekehrten Fall tippt der Mitarbeiter die erledigten Arbeiten samt verbrauchtem Material in das Smartphone ein und macht die Vorgänge digital verfügbar.

Projekt arbeitet mit Sofort-Check, Radar und Ampelsystem

Das Ende der Zettelwirtschaft – dies ist ein nicht zu unterschätzender Aspekt von Digitalisierung in kleinen und mittleren Unternehmen. Für das Umstellen auf Softwarelösungen und den Einsatz von Smartphones oder mobilen Rechnern (Tablets, Laptops) stellt das „Digitale Excellence NRW“-Projekt die Weichen. Denn es zeichnet den beteiligten Unternehmen den Weg auf, digitale Entwicklungen anzustoßen, sie im Unternehmen zu implementieren und damit wettbewerbsfähig zu bleiben.

Andreas Franke ist Geschäftsführer des Beratungsunternehmens mpool und macht – gemeinsam mit seinem Kollegen Leif Grube von der IGA – in den beteiligten Unternehmen zunächst einen Sofort-Check. Dieser erfasst die Prozesse im Betrieb und untersucht sie auf ihr digitales Potenzial. Als Instrument, um eine ganzheitliche Sicht auf die Organisation der Firmen zu bekommen, dient den Projektmitarbeitern das 1988 entwickelte Qualitätsmanagement-System der European Foundation for Quality Management (EFQM). Für das Erkennen digitaler Potenziale aber, sagt Andreas Franke, war das EFQM-Modell speziell anzupassen. Mit einer Art Radar nehmen die Berater relevante Abläufe in einem Unternehmen ins Visier. Ein Ampelsystem markiert dabei die Dringlichkeit von Veränderungen: Rot kennzeichnet großen Handlungsbedarf, Gelb steht für bereits eingeleitete Veränderungen, Grün zeigt vollständig umgesetzte Digitalisierung an. Zusätzlich belegt die Farbe Grau Vorgehensweisen, bei der eine Umstellung auf digitale Unterstützung lässlich erscheint.

Auch bei der Bochumer Kurt Berkowitz GmbH, einem Fachbetrieb für Sanitär, Heizung und Klima (SHK), sieht Geschäftsführer Jörg Berkowitz es als seine Aufgabe an, „den Menschen, der bei uns den Arbeitsanzug trägt, jetzt mehr in digitale Prozesse einzubinden.“ Während jede Auftragsanfrage im kaufmännischen Bereich bereits elektronisch verarbeitet und abgerechnet wird, fehle noch die digitale Unterstützung der Monteure bei den Kundenterminen. Je mehr EDV beim Warten, Reparieren und bei der Inbetriebnahme von Anlagen zum Einsatz komme, desto besser müssten seine Mitarbeitenden mit Computern und digitalen Hilfsmitteln umgehen können. „Dafür muss ich wissen, was ich dem Monteur vor Ort an Mitteln zur Verfügung stellen muss“, sagt Jörg Berkowitz. Für diese Analyse sei das „Digitale Excellence NRW“-Projekt hilfreich. Der strukturierte Blick auf sein Unternehmen erleichtere die Analyse von Arbeitsprozessen und die Entscheidung, welche Hard- und Software zum Beispiel für den Kundendienst anzuschaffen sei.

SHK-Firma Berkowitz schafft Tablets im Kundendienst an

Die Herausforderung besteht darin, strategisch vorzugehen und sich auf eine gewisse Anzahl an Schritten zu beschränken. „Sonst besteht die Gefahr, sich zu verzetteln“, sagt Jörg Berkowitz. Denn durch die Prozessanalyse und den Radar-Ansatz „habe ich mindestens zehn Prozesse im Kopf, in die ich eingreifen könnte.“ Die technischen Möglichkeiten erlauben es heute nicht nur, digitale Auftragsbeschreibungen mobil abzurufen, sondern bei Wartung und Reparatur beispielsweise auch intelligente Augmented-Reality-Brillen (AR) einzusetzen, die Gas- oder Heizungsanlagen scannen und direkt Handlungsanweisungen einspielen. Für das Gelingen der digitalen Excellence ist es daher wichtig, dass die Projektberater bei der Priorisierung unterstützen. Leif Grube: „Die bestimmende Frage war, welche Kernprozesse es im Kundendienst gibt, die digitalisiert werden können.“


Text: Volker Stephan

Quelle: Dieser Text ist zuerst erschienen im G.I.B. Info 2/2019.